Alexis Lichine

Die Geschichte von Alexis Lichine & Co

Alexis Lichine

Papst Wein

Wir befinden uns in Bordeaux in einem der besten Restaurants der Stadt, Ende der Fünfzigerjahre. Alexis Lichine steht dort, umringt von den größten Weinhändlern und Weingutsbesitzern des Bordeaux, und konzentriert sich auf das Glas, das er in der Hand hält. Die Herausforderung besteht darin, den Cru und den Jahrgang dieses kostbaren Getränks herauszuschmecken. Eine Aufgabe, die selbst die größten Kenner fürchten. Alexis Lichine konzentriert sich, an der Farbe erkennt er, dass es sich um einen alten Wein handelt. Das subtile Bukett mit Düften nach Unterholz, Früchten und Zeder sagen ihm, dass es sich sehr wahrscheinlich um einen Médoc-Wein handelt. Alexis Lichine führt das Glas zu den Lippen und muss sofort an einen Saint-Estèphe mit seiner typischen Rundheit denken. Der Wein weist keine Tannine auf, was auf einen Vorkriegswein hindeutet, da die Tannine mit fortgeschrittener Reife verschwinden. Der volle, tiefe Geschmack erinnert an die Weine des Jahrgangs 1929. Nur drei Châteaux in Saint-Estèphe sind in der Lage, Weine eines solchen Kalibers zu erzeugen, und nur der Cos d’Estournel besitzt diesen schokoladigen Geschmack und diese Tiefe. Vor dem staunenden Publikum verkündet Alexis Lichine sein Ergebnis: Cos d’Estournel 1929. Mit nur 46 Jahren gehört er damit zu den größten Weinkennern.

Alexis Lichine wurde 1913 geboren. Er gehörte zur Familie eines reichen Bankiers aus Sankt Petersburg, die vor der Oktoberrevolution 1917 zunächst in die USA und später nach Frankreich geflohen war. Nachdem er als Verkäufern von Werbeblättern für die französische Ausgabe des New-York Herald Tribune in Paris und Alger gearbeitet hatte, kehrte er nach Aufhebung der Prohibition nach Amerika zurück. Als nationaler Verkaufsleiter eines Weinhändlers erkannte er das fantastische Potenzial des amerikanischen Marktes für französische Weine. Nach und nach wurde er Vertreter zahlreicher Weingeschäfte in den USA. Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten überzeugte er einige kalifornische Weingüter von der Notwendigkeit, ihre Weine nach den Rebsorten zu benennen und nicht nach dem Gebiet, um so den Weinliebhabern die Auswahl zu erleichtern. Heute wird diese Art der Benennung bei zahlreichen Weinen in der ganzen Welt eingesetzt.

Im Krieg wurde er für den Nachrichtendienst eingezogen. Als Adjutant des Generals und zukünftigen Präsidenten Eisenhower in Italien und Südfrankreich wurde er von seinen Vorgesetzten aufgrund seiner Weinkenntnisse und seiner Gabe, die feinsten Flaschen für Konferenzen und offizielle Dinner-Abende ausfindig zu machen, sehr geschätzt.

Nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst lebte er abwechselnd in New York und Bordeaux, wo er sein Unternehmen Alexis Lichine & Co gründete. Elf Jahre später verkaufte er seine Firma an britische Unternehmer. Zu jener Zeit, genauer genommen im Jahr 1951, erschien sein erstes Werk: “Vins et vignobles de France” mit Neuauflage im Jahr 1979. Alexis Lichine war Mitglied eines Komitees, das sich die Überarbeitung der berühmten, jedoch sehr starren Klassifizierung von Bordeaux-Weinen aus dem Jahr 1855 zur Aufgabe gemacht hatte. Obwohl seine Vorschläge nicht übernommen wurden, veröffentlichte er sie in seinem Werk “Classification des Grands Crus Rouges de Bordeaux en 1961″.

Ebenfalls in diese Zeit fiel der Erwerb des Château Prieuré-Cantenac im Dörfchen Cantenac, 25 km von Bordeaux entfernt. Die alte Benediktinierabtei zählt zu den 3 Crus Classés und wurde später in Château Prieuré-Lichine umbenannt. Er reiste häufig in die USA, um dort seinen Wein zu vertreiben, Verkostungen zu leiten und Vorträge zu halten. Mit den gewagten Kommentaren in seinen Büchern zu den Weinen der berühmtesten Weingüter und seinem amerikanisch direkten und warmherzigen Stil rüttelte Alexis Lichine die festgefügte Ordnung im Bordeaux kräftig auf. Seiner Intuition, seinen Kenntnissen und seinem Charisma verdankt er den Spitznamen “Weinpapst”.

Er besaß zwar ein großes Appartement in Mahattan, verbrachte jedoch den Großteil seiner Zeit in seinem Château Prieuré-Lichine, um sich voll und ganz der Weinherstellung zu widmen. Das Fachmagazin Decanter kürte ihn zum “Mann des Jahres 1987″.

Er war dreimal verheiratet, zuletzt mit der Schauspielerin Arlène Dahl.

Alexis Lichine erlag am 1. Juni 1989 in dem Château, das heute seinen Namen trägt, den Folgen einer Krebserkrankung.